ALS Medikament Riluzol
Riluzol ist das Basismedikament, das zweimal täglich eingenommen wird, und den Krankheitsverlauf moderat verlangsamen kann.
Abb. Die Basimedikation Riluzol.
Eine Verbesserung der bestehenden Symptome ist nicht zu erwarten. Die Substanz zielt auf eine Verringerung der Ausbreitungsgeschwindigkeit der motorischen Symptome (Reduktion der ALS-Progression).
Riluzol ist eine pharmakologische Substanz, die den Botenstoff Glutamat im Gehirn und Rückenmark reduziert. In der ALS-Forschung wurde nachgewiesen, dass Glutamat in den Synapsen des motorischen Nervensystems in toxischer Konzentration auftritt und zu einer Schädigung der Motoneurone beiträgt (Hypothese der “Glutamattoxizität” bei der ALS). An dieser Stelle setzt Riluzol an: das Medikament entfernt überschüssiges Glutamat aus dem synaptischen Spalt, der Verbindungsstelle zwischen motorischen Nervenzellen. Mit der Absenkung der Glutamatkonzentration durch Riluzol wird die schädigende Wirkung vom synaptischen Glutamat reduziert.
Riluzol ist bereits Anfang der 1990er-Jahre von einem französischen Arzneimittelunternehmen entwickelt worden und seit 1995 in Deutschland (Europa, den USA und zahlreichen anderen Ländern) zugelassen. Riluzol ist das Basismedikament zur Behandlung der ALS. In der Zulassungsstudie Anfang der 1990er-Jahre konnte gezeigt werden, dass Riluzol das Überleben bei der ALS verlängert. Der mittlere Lebenszeitgewinn in der Zulassungsstudie betrug 82 Tage, jedoch wurden die Patienten erst spät im Krankheitsverlauf mit Riluzol behandelt (2,2 Jahre nach Symptombeginn). Die heutige klinische Praxis sieht eine frühere Behandlung vor. Neuere Studien gehen von einem größeren Überlebensvorteil aus, wenn die Therapie möglichst zeitig begonnen wird. Vor diesem Hintergrund ist Riluzol als Basismedikation mit einer guten Verträglichkeit zu betrachten.
Riluzol – Verträglichkeit
Auf Grund der langen Behandlungserfahrung seit über 25 Jahren sind die Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen gut bekannt. Insgesamt ist Riluzol als gut verträgliches Medikament zu betrachten.
Nebenwirkungen (Unwohlsein, Übelkeit, Hautveränderungen u.a.) treten nur im Ausnahmefall und dann vor allem am Anfang der Medikation auf.
Riluzol ist ein pharmakologischer “Glutamatsenker”. Die Konzentration von Glutamat wird sehr gezielt – an den Synapsen im Gehirn und Rückenmark – reduziert. Wichtig ist, dass die Glutamatkonzentration in den Synapsen vollständig vom Glutamat im sonstigen Körper getrennt und unabhängig von der Nahrungsaufnahme ist. Daher muss keine “Glutamat-Diät” eingehalten werden – im Gegenteil: eine vollwertige Ernährung mit allen Nahrungsbestandteilen ist von großer Bedeutung.
Im Fall von Nebenwirkungen bei Therapiebeginn ist eine reduzierte Dosis und eine langsame Dosissteigerung empfehlenswert. Diese veränderte Dosierung ist mit dem ALS-Zentrum (oder Facharztpraxis) oder dem Apotheker abzusprechen. Bei Therapiebeginn – und auch im weiteren Behandlungsverlauf – ist die Beratung und Begleitung durch eine spezialisierte ALS-Apotheke möglich und zu empfehlen (ALS-Apothekenprogramm).
Riluzol – Filmtablette, Schmelzfilm oder Suspension
Es wird zwei Mal täglich (morgens und abends) eingenommen. Jede Tablette enthält 50 mg. Die Gesamtdosis beträgt 100 mg pro Tag (zwei Filmtabletten). Bei einer Schluckstörung stehen besonders entwickelte Darreichungsformen zur Verfügung – der Riluzol-Schmelzfilm (EMYLIF) und die Riluzol-Suspension (Teglutik).
Der Riluzol-Schmelzfilm (EMYLIF) ist ein kleines und dünnes Plättchen, das auf die Zunge, den Gaumen oder die Mundschleimhaut gelegt wird.
Dort bleibt das Plättchen haften und löst sich sofort auf. Das in dem Schmelzfilm enthaltene Riluzol wird unmittelbar vom Speichel aufgenommen und kann sehr einfach geschluckt werden. Auch diese Schmerztablette wird zweimal täglich eingenommen. Jede Schmerztablette enthält 50 mg Riluzol. Dieser Schmelzfilm ist das geeignete Riluzol, wenn die Schluckfunktion verändert ist und/oder Schwierigkeiten der Tabletteneinnahme bestehen. Eine typische Nebenwirkung ist ein vorübergehendes Taubheitsgefühl im Mund, das mit dem anästhetischen Gefühl nach einem Zahnarztbesuch vergleichbar ist. Der Effekt ist individuell sehr unterschiedlich, hält wenige Minuten (bis 1 Stunde) an und ist in jedem Fall als unkritisch zu betrachten.
Die Riluzol-Suspension (Teglutik) ist eine Flüssigkeit mit der Konsistenz eines “Nektars” und in einer Flasche zur Verfügung gestellt wird.
Die Einnahme der Suspension ist zu empfehlen, wenn eine hochgradige Schluckstörung vorliegt oder eine Ernährungssonde (PEG) vorhanden ist. Im Fall einer PEG ist von einer Zerkleinerung von Filmtabletten (“Zermörsern”) abzuraten, da die PEG-Sonde geschädigt und auch die vollständige Aufnahme der notwendigen Dosis von Riluzol nicht gewährleisten werden kann. Daher ist bei einer PEG die Riluzol-Suspension die geeignete und etablierte Darreichungsform. Auch die Riluzol-Suspension wird zweimal täglich eingenommen. Dabei werden 10 ml der Lösung morgens und abends aus der Flasche entnommen und “per os” (über den Mund) aufgenommen oder über die PEG appliziert. 10 ml der Suspension enthalten 50 mg Riluzol. Bei der Aufnahme über den Mund kann (wie beim Schmelzfilm) ein vorübergehendes Taubheitsgefühl im Mund entstehen, das mit dem anästhetischen Gefühl nach einem Zahnarztbesuch vergleichbar ist. Der Effekt ist individuell sehr unterschiedlich, hält wenige Minuten (bis 1 Stunde) an und ist in jedem Fall als unkritisch zu betrachten. Bei einer Aufnahme des Medikamentes über die PEG ist dieser Effekt nicht zu erwarten.
Riluzol-Programm: das geeignete Riluzol bestimmen
Mit der Filmtablette, dem Schmelzfilm und einer Suspension sind 3 Riluzol-Darreichungsformen vorhanden, deren Anwendung individuell entschieden und im gesamten Krankheitsverlauf überprüft werden sollte.
Die Entscheidung für das geeignete Riluzol ist recht komplex und wird maßgeblich von der Schluckfunktion und dem Vorliegen einer PEG bestimmt.
Ein weiterer Entscheidungsfaktor ist ein eventuell vorhandener überschüssiger Speichelfluss (Sialorrhoe). In ALS-Apotheken wurde das Riluzol-Programm etabliert, das die Entscheidung für die geeignete Darreichungsform von Riluzol (und anderen Medikamenten) unterstützt.Die Entscheidung über das geeignete Riluzol wird von einem Facharzt oder einer Fachärztin für Neurologie entschieden. Dabei wird der Patient selbstverständlich mit einbezogen. In ALS-Ambulanzen ist die ALS-Funktionsskala (ALSFRS-R) eine wesentliche Orientierung in der Entscheidungsfindung. Das Schlucken (einschließlich der möglichen Nutzung einer PEG) und der Speichelfluss gehen aus der ALS-Funktionsskala hervor (Fragen 3 & 2 der ALSFRS-R). Die ALSFRS-R nimmt eine besondere Stellung ein, da diese Skala sowohl vom Arzt als auch vom Patienten (ALSFRS-R-SE) erhoben werden kann.
Durch die Selbstbewertung der ALSFRS-R-SE über die ALS-App können Patienten ihre ALS-bezogenen Symptome (so auch zum Schlucken und Speichelfluss) auf strukturierte Weise mitteilen. Die Ergebnisse der ALSFRS-R-SE-Selbstbewertung können von geschulten Koordinatorinnen im Ambulanzpartner-Versorgungsnetzwerk sowie von ALS-Apotheken eingesehen werden. Bei Vorliegen einer Schluckstörung (oder einer PEG) können sowohl Apotheken als auch Koordinatorinnen eine Empfehlung für die Umstellung der Riluzol-Medikation auf den Schmelzfilm oder die Suspension geben. Die abschließende Entscheidung liegt beim Arzt. Das Zusammenwirken von ALS-Apothekern, ALS-Koordinatorinnen, den Betroffenen und dem Arzt wird als Riluzol-Programm bezeichnet. Dieses Programm ist ein Angebot im Ambulanzpartner-Versorgungsnetzwerk und ein Bestandteil des ALS-Apothekenprogramms. Das Riluzol-Programm hat die folgenden Inhalte:
- Erfassung von Schwierigkeiten der Medikamenteneinnahme durch ALS-Apotheke
- Erfassung von Frage 3 & 2 der ALSFRS-Funktionsskala (Schlucken & Speichelfluss) durch ALS-Apotheke
- Empfehlung der Medikamentenumstellung (z.B. auf Schmelzfilm oder Suspension) durch ALS-Apotheke an Arzt (wenn notwendig)
- monatliche Selbstbewertung zum Schlucken & Speichelfluss) über ALS-App (optional, bei Teilnahme an ALS-App)
- Rücksprache von ALS-Apotheke mit Patienten oder Angehörigen zur Schluckstörung oder Anlage einer PEG sowie Empfehlung der Medikamentenumstellung durch ALS-Apotheke an Arzt (wenn notwendig)