Das Deutsche Ärzteblatt hat Prof. Dr. Thomas Meyer im Rahmen der Reihe „5 Fragen zum Versorgungsstärkungsgesetz“ befragt. Im Interview bewertet er die bisherigen Auswirkungen der 2007 begonnenen Öffnung der Krankenhäuser und zeigt notwendige Verbesserungen auf. Es erschien online auf aerzteblatt.de und wird ebenfalls in der gedruckten Ausgabe veröffentlicht.
„Die Öffnung der Krankenhäuser ist noch keine Erfolgsgeschichte“
Berlin – Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde im Jahr 2007 die Möglichkeit für Krankenhäuser geschaffen, zum Beispiel seltene Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen ambulant zu behandeln. Die ALS-Ambulanz der Berliner Charité war eine der ersten, die für diese Behandlung eine Genehmigung erhielt. Der Leiter der ALS-Ambulanz, Thomas Meyer, erklärt, warum er die Öffnung der Krankenhäuser nach § 116b (alt) nicht als eine Erfolgsgeschichte empfindet und was geschehen muss, damit sie unter den Bedingungen des § 116b (neu), der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV), doch noch zu einer solchen wird.
DÄ: Hat sich die Versorgung Ihrer Patienten durch die Öffnung der ALS-Ambulanz für die ambulante Versorgung verbessert?
Meyer: Die Versorgungsmöglichkeiten haben sich durch Genehmigung gemäß § 116b (alt) verbessert. Positiv ist, dass durch die neue Vergütungsform das direkte Arzt- Patienten-Gespräch besser abgebildet wird. Aber die Situation ist nicht zufriedenstellend.
DÄ: Weshalb nicht?
Meyer: Die Limitationen liegen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab selbst begründet. Der erhebliche Kommunikations-, Organisations- und Dokumentationsaufwand bei der ALS-Versorgung ist nicht erfasst. Ein bisher ungelöstes Problem besteht darin, dass eine gute ALS-Versorgung nicht-ärztliche Beratungs- und Organisationsaufgaben beinhaltet. Zu unserem Team von zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehören daher neben den drei Fachärzten auch Koordinatoren der Hilfs- und Heilmittelversorgung, der Beatmungs- und Ernährungstherapie sowie der Sozial- und Pflegeberatung. Dieses Team wird unverändert durch Spenden und andere Drittmittel ermöglicht. Die angemessene Finanzierung berufsgruppenübergreifender Teams, wie sie bei der ALS erforderlich sind, sieht der §116b leider nicht vor.
DÄ: Hat es der Charité denn trotzdem finanzielle Vorteile gebracht, ambulante Leistungen zu erbringen?
Meyer: Die Genehmigung gemäß § 116b hat allenfalls dazu geführt, dass ALS-Patienten in der ärztlichen Beratungsleistung etwas besser vergütet werden. Aufgrund der genannten Limitationen im EBM bleibt es aber bei einer Unterdeckung.
DÄ: Und wie hat sich die Kooperation mit den niedergelassenen Kollegen entwickelt?
Meyer: Die Zusammenarbeit mit den vertragsärztlichen Kolleginnen und Kollegen hat sich sehr positiv entwickelt. Die Zuweisung von Patienten mit ALS und anderen Motoneuronenerkrankungen und damit die Anzahl der kontinuierlich betreuten ALS-Patienten ist von etwa 400 auf mehr als 650 angestiegen. Anders als befürchtet sind die Kommunikation und der fachliche Austausch intensiver geworden. Das gilt für die neurologischen Kollegen, aber auch für Hausärzte und Palliativmediziner. Das betrachte ich als eine erfreuliche Entwicklung.
DÄ: Empfinden Sie die Öffnung der Krankenhäuser gemäß § 116b denn als eine Erfolgsgeschichte?
Meyer: Die Öffnung der Charité für die ambulante Behandlung der ALS war eine Verbesserung. Der Begriff „Erfolgsgeschichte“ ist allerdings zu groß. Ein interdisziplinäres Versorgungsmanagement ist im §116b leider nicht abgebildet. Insofern betrachte ich die Öffnung der Charité für die ambulante Behandlung von ALS-Patienten als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Die ASV-Konkretisierung des Gemeinsamen Bundesausschusses für ALS und andere neuromuskuläre Erkrankungen muss die aufwändige Versorgung durch verschiedene Berufsgruppen ausreichend abbilden, damit der §116b noch zu einer „Erfolgsgeschichte“ wird.