Ab Frühjahr oder Frühsommer 2010 ist eine Therapiestudie mit dem Medikament Anakinra an der ALS-Ambulanz der Charité geplant. Das erforderliche Protokoll ist jetzt abgeschlossen worden und wird mit dem Koordinierungszentrum für klinische Studien (KKS) der Charité abgestimmt. In einem nächsten Schritt werden die vorliegenden Dokumente bei der Ethikkommission des Landes Berlin sowie der zuständigen Bundesoberbehörde (BfArM) eingereicht. Ein positives Votum beider Einrichtungen ist eine notwendige Voraussetzung für den Studienbeginn. Wir rechnen im besten Fall mit dem Abschluss des Genehmigungsprozesses und mit einem Studienbeginn im Mai 2010. Unsere bisherigen Erfahrungen mit der Initiierung und Durchführung von Arzneimittelstudien zeigen, dass mit Verzögerungen zu rechnen ist. Sie sind meist in der Komplexität des Genehmigungsverfahrens und den hohen Zeitaufwendungen für eine medizinische und logistische Studienvorbereitung begründet. Die Studie ANA-ALS01 wird durch die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) finanziell unterstützt und ermöglicht. Die MPG ist eine der führenden Wissenschaftsorganisationen in Deutschland.
In der Studie ANA-ALS01 soll ein bereits bekanntes Medikament mit dem Inhaltsstoff Anakinra (ANA) bei der ALS untersucht werden. ANA ist ein biotechnologisch hergestellter Antikörper, der zur Behandlung von rheumatologischen Gelenkserkrankungen (Rheumatoide Arthritis) unter dem Handelsnamen Kineret® in Deutschland zugelassen ist. ANA ist ein immunologischer Hemmstoff, der gegen das Eiweiß Interleukin-1 (IL-1) gerichtet ist. IL-1 hat eine bekannte Funktion bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von schädlichen Immunprozessen. Bei der ALS ist eine Verträglichkeit und Wirksamkeit von ANA noch unbekannt. Der klinische Prüfung von ANA bei der ALS ist durch grundlagenwissenschaftlichen und tierexperimentelle Untersuchungsergebnisse begründet. Dabei konnte in der Arbeitsgruppe von Professor Arturo Zychlinski am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin ein überschüssiges Vorkommen von IL-1 und eine Verlangsamung des Krankheitsprozesses durch ANA im ALS-Tiermodell gezeigt werden. Die experimentellen Erkenntnisse der ANA-Behandlung in einem gentechnisch herstellten Mausmodell der ALS lassen jedoch noch keine Schlussfolgerungen zu einer Wirksamkeit bei Patienten mit einer ALS zu, so dass klinische Studien beim Menschen erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund führen wir eine erste Studie von ANA bei der ALS durch, in der die Verträglichkeit von ANA bei der ALS untersucht werden soll. Als zusätzliches Ziel der klinischen Studie soll überprüft werden, ob bei einzelnen Patienten eine Verlangsamung der Erkrankung erreicht werden kann. Die hauptsächliche Zielstellung der ANA-Verträglichkeitsstudie bei der ALS soll die Frage klären, ob das Medikament eine hinreichende Sicherheit und Verträglichkeit aufweist, um im Anschluss eine Wirksamkeitsstudie bei einer größeren Zahl von ALS-Patienten durchzuführen. Die ANA-Verträglichkeitsstudie wird in unserer ALS-Ambulanz als alleiniges Studienzentrum erfolgen. Insgesamt werden 20 Patienten teilnehmen.
Um an dieser Studie teilnehmen zu können, müssen die Patienten bestimmte sogenannte Einschlusskriterien erfüllen bzw. es dürfen Ausschlusskriterien nicht erfüllt sein. Auf Grund dieser pharmakologischen Eigenschaften zielt ANA auf den Krankheitsprozess an den peripheren Nerven und den Nervenwurzeln außerhalb des ZNS, die ebenfalls bei der ALS betroffen sind. Die ANA-Behandlungsstrategie ist vor allem bei ALS-Patienten geeignet, die eine überwiegende Betroffenheit des 2. Motorischen Neurons aufweisen. Klinisch stellt sich die Schädigung des 2. Motorischen Neurons durch einen ausgeprägten Muskelschwund (Myatrophie), schlaffe Lähmungen (periphere Paresen) oder eine Abnahme der Muskelmasse der Extremitäten und des Rumpfes (Wasting (engl.)) dar. Diese klinischen Merkmale können Ihr Facharzt für Neurologie oder andere Ärzte mit Erfahrung bei der Versorgung von ALS-Patienten feststellen. Eine Behandlung von ALS-Patienten mit einer ausgeprägten Spastik scheint nach dem heutigen Kenntnisstrand nicht geeignet, da die Ursache der Spastik in einer ALS-bedingten Schädigung von ZNS-Strukturen liegt, die von ANA nicht erreicht werden können. Daher sind Patienten mit einer überwiegenden Spastik von der Studie ausgeschlossen.
Einschlusskriterien (Auswahl)
- Diagnose einer ALS mit überwiegender Schädigung des 2. motorischen Neurons oder der klinischen ALS-Variante einer Progressiven Muskelatrophie (PMA)
- Klinische Zeichen für eine Störung des 2. Motorischen Neurons in mindestens einer anatomischen Regionen außerhalb der Bulbärregion
- Symptombeginn der Lähmungen (Paresen) vor mindestens 6 Monaten
- Behandlung mit dem Medikament Rilutek (Riluzol) 100 mg/Tag seit mindestens 1 Monat
Ausschlusskriterien (Auswahl)
- Diagnose einer ALS mit überwiegender Schädigung des 1. Motorischen Neurons (klinische Variante einer spastischen ALS)
- Diagnose der klinischen ALS-Variante einer Primären Lateralsklerose (PLS)
- Vitalkapazität der Lunge <50%
- Behandlung mit einer sonstigen Studienmedikation < 1 Monat vor Studienbeginn
- Diagnose der klinischen ALS-Variante einer Primären Lateralsklerose (PLS) Symptombeginn der Lähmungen (Paresen) vor mehr als 48 Monaten Vitalkapazität der Lunge <50%
Die Studienbehandlung besteht in einer täglichen Injektion unter die Haut (subkutane Injektion) mit einer Fertigspritze, die durch Sie selbst oder durch eine angeleitete Hilfsperson für die Dauer von 52 Wochen vornehmen. Eine Vertragsapotheke liefert das Medikament unter Aufrecherhaltung einer erforderlichen Kühlkette an die Wohnadresse des Patienten. In der häuslichen Umgebung wird das Medikament ebenfalls in einem Kühlschrank gelagert. Die übliche Riluzol-Medikation von 100 mg/Tag wird weitergeführt. Eine Placebobehandlung ist nicht vorgesehen.
Eine detaillierte Beschreibung der Behandlung, der erforderlichen Untersuchungen, der Abläufe, Belastungen, möglichen Risiken und Nebenwirkungen wird im Detail in der Rubrik „Therapiestudien“ beschrieben.