Die Effekte von Physiotherapie bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS) sind bisher wenig erforscht. Trotz der breiten Anwendung von Physiotherapie bei der ALS liegen bisher nur wenige systematische Untersuchungen zu Art, Dauer und Frequenz der Behandlungen vor. An der Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde in Zusammenarbeit mit Ambulanzpartner eine Studie mit 45 Patienten zum subjektiven Erleben der Physiotherapie im Verlauf der ALS-Erkrankung durchgeführt. Die Befragung der Patienten erfolgte über die Ambulanzpartnerplattform. Die Ergebnisse der Studie wurden in dem internationalen Fachjournal JMIR Publications veröffentlicht (https://rehab.jmir.org/2018/2/e10099/) . In der Studie wurden folgende Themen untersucht:
- Frequenz und Dauer physiotherapeutischer Anwendungen bei der ALS
- Beschwerden, die in der Physiotherapie behandelt werden sollten
- Weiterempfehlung von Physiotherapie für die ALS zu Beginn der Studie und im Verlauf nach 20 Wochen
Frequenz und Dauer physiotherapeutischer Anwendungen Die teilnehmenden Patienten erhielten im Durchschnitt drei Mal in der Woche Physiotherapie mit einer Therapiezeit von jeweils 45 bis 60 Minuten. Insgesamt bekamen die Patienten 2,5 bis 3 Stunden Physiotherapie. Zusätzlich wurden je nach Bedarf in einem Zeitfenster von ca. 2 Stunden pro Woche spezielle Therapien wie Massage, Lymphdrainage, Wärmeanwendung oder Atemtherapie durchgeführt. Als führend erlebte Beschwerden Die Teilnehmenden wurden gebeten, die Beschwerde zu definieren, welche für sie vordergründig mit einer Physiotherapie behandelt werden sollte. Dabei nannte der überwiegende Teil der Befragten (62,2 %) Probleme bei Laufen bzw. eine Schwäche der Beine als primäre Beschwerde. Für 31,1 % der Befragten standen die Arme bei der Behandlung im Fokus, während ein kleiner Teil (6,7 %) eine Schwäche der Rumpfmuskulatur zum Zeitpunkt der Befragung im Vordergrund der physiotherapeutischen Behandlung sah (Abbildung 1).
Weiterempfehlung von Physiotherapie für die ALS Von insgesamt 45 Studienteilnehmern waren 20 bereit Fragen zum Beschwerdebild und zur Zufriedenheit mit Physiotherapie nach 20 Wochen über einen Fragebogen auf der Plattform von Ambulanzpartner zu beantworten. Zur Zufriedenheit wurde folgende Frage gestellt: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie einem Freund oder Kollegen (m/w), der/die an einer ALS erkrankt ist, eine Physiotherapie weiterempfehlen würden?“ Die Beantwortung erfolgte über eine Skala von 0 = sehr unwahrscheinlich bis 10 = sehr wahrscheinlich. Es zeigte sich zu Beginn der Befragung eine hohe Wahrscheinlichkeit der Weiterempfehlung mit einem Durchschnittswert von 7,6 Skalenpunkten. Nach 20 Wochen lag die Wahrscheinlichkeit der Weiterempfehlung trotz der Zunahme von motorischen Einschränkungen sogar bei 8,6 Punkten und ist damit statistisch signifikant angestiegen.
Die Untersuchung hat darüber hinaus ergeben, dass die Weiterempfehlung vom Alter der Patienten, vom Geschlecht, der Menge der Physiotherapie, dem Ort der als führend definierten Beschwerde und von der Ausprägung der motorischen Einschränkung unabhängig war. Paradigmenwechsel in der Physiotherapie von ALS-Patienten Die Studie zeigte, dass die Zufriedenheit von ALS-Patienten mit Physiotherapie überwiegend hoch ist. Trotz einer Zunahme funktioneller Einschränkungen im Krankheitsverlauf, stieg die Wahrscheinlichkeit der Weiterempfehlung von Physiotherapie an. Diese Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass Physiotherapie und physikalische Maßnahmen bei der ALS eine wichtige Unterstützung im gesamten Krankheitsverlauf darstellen und Therapeutinnen und Therapeuten eine zentrale Rolle im multidisziplinären Behandlungsteam innehaben. Mit dem Fortschreiten der ALS-bedingten Einschränkungen treten palliativmedizinische Interventionskonzepte in den Vordergrund, womit das Paradigma funktioneller Verbesserung und Erhaltung verlassen wird und der Fokus zunehmend auf supportiven und psychosoziale Maßnahme liegt. Damit ergibt sich eine hohe Bedeutung der Physiotherapie in der Behandlung der ALS in allen Krankheitsphasen. Bei Fragen zur Studie, wenden Sie sich gerne an Dr. André Maier ([email protected]) oder Susanne Spittel ([email protected]).