Im Wissenschaftsmagazin Science vom 6.10.2006 wurden die Ergebnisse einer Kooperation zwischen neurologischen Forschungsinstituten in Pennsylvania, San Francisco, Vancouver, Homburg und München vorgestellt. Die führende Autorin ist Manuela Neumann vom Institut für Neuropathologie und Prion-Forschung der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Der Arbeitsgruppe ist es gelungen, einen wichtigen Baustein von ALS-typischen Eiweißablagerungen in Nervenzellen von ALS-Patienten zu identifizieren. Bereits seit mehreren Jahrzehnten sind Eiweißablagerungen in Neuronen bei der ALS bekannt, die unter dem Namen der strähnenartigen Einschlüsse (skein-like-inclusions) in der wissenschaftlichen Literatur bezeichnet werden. Die intrazellulären Ablagerungen sind durch eine Anreicherung durch das zelluläre Entsorgungssystem „Ubiquitin“ charakterisiert, so dass die pathologischen Zellaggregate als ubiquitin-positive Inklusionen benannt wurden. Bisher war die neurochemische Zusammensetzung der ubiquitin-positiven Inklusionen unbekannt. In der Forschungsarbeit von Manuela Neumann und Mitarbeitern konnte gezeigt werden, dass ein bisher unbekanntes TDP-43-Protein als wesentlicher Bestandteil der ubiquitin-positiven Inklusionen anzusehen ist. Eine pathologisch-veränderte Form von TDP-43 war bei ALS-Patienten sowie der fronto-temporalen Demenz (FTD) nachweisbar. Das TDP-43-Protein ist als molekularbiologische Signatur der ALS und FTD anzusehen. Es handelt sich um ein hochkonserviertes Eiweiß, das sich im Zellkern der Nervenzellen befindet und bei der Umsetzung der genetischen Information in spezifische Proteine beteiligt ist (Transskription und RNA-Splicing). Bei der ALS ist die Lokalisation von TDP-43 verändert: Anstelle der regulären Lokalisation innerhalb des Zellkern sind pathologische Aggregate von TDP-43 außerhalb des Zellkerns im Zytoplasma und den Nervenfortsetzen (Axons) vorhanden. Die Identifikation von TDP-43 ist ein wichtiger Forschungsansatz, um den Entstehungsmechanismus ALS-typischer Proteineinschlüsse in motorischen Nervenzellen zu verstehen. Grundsätzlich sind Nervenzellaggregate bei der Mehrheit neurodegenerativer Erkrankungen nachweisbar. Führendes Beispiel sind die intrazellulären Aggregate des TAU-Proteins sowie die extrazellulären Ablagerungen von Amyloid-Vorläuferprotein (senile Plaques) bei der Alzheimer-Erkrankung zu nennen. Moderne Ansätze der Alzheimer Therapieforschung zielen auf eine Verminderung der pathologischen Ablagerungen durch Vaccination oder pharmakologische Behandlung. Die Identifikation von TDP-43 und noch zu erwartender Forschungsergebnisse bei der ALS ermöglichen zukünftige Therapiestrategien, die auf eine verminderte Ablagerung des TDP-43-Proterins in neuronalen Zellen bei der ALS gerichtet sind. Dabei ist zu unterstreichen, dass innovative Therapiestrategien eine umfangreiche Grundlagenforschung an Maus- und anderen Tiermodellen erfordern, um im Weiteren in eine experimentelle Patientenforschung überführt zu werden. Die Erfahrungen aus der Alzheimer-Forschung zeigen, dass über 10 Jahre intensiver Therapieforschung erforderlich sind, um Erkenntnisse der Grundlagenforschung in eine klinische Anwendung zu überführen. Insgesamt ist die Erstbeschreibung des TDP-43-Proteins bei der ALS eine wichtige grundlagenwissenschaftliche Erkenntnis, die bisher ohne praktische Umsetzung für die Therapie von ALS-Patienten bleibt.