Am 11.12.2007 wurde erstmalig in Europa bei zwei Patienten unserer ALS-Ambulanz ein Zwerchfellschrittmacher implantiert. Es handelt sich um eine direkte Diaphragmastimulation (DDS) durch vier Elektroden, die an der Unterseite des Diaphragmas (Zwerchfell) implantiert wurden (siehe Nachrichten 12/2007). In der Zwischenzeit haben mehrere Nachuntersuchungen der DDS-Patienten stattgefunden. Der bisherige Verlauf zeigte eine rasche und vollständige Erholungsphase nach der Operation ohne DDS-bedingte Beschwerden. Eine medizinische Wirksamkeit der DDS kann erst in einem längeren Beobachtungszeitraum und ausschließlich für die individuellen DDS-Patienten getroffen werden. Bei einem der beiden operierten Patienten lässt sich bereits jetzt ein messbarer Unterschied der Atemfunktion während der Stimulation im Vergleich zum Zustand mit ausgeschaltetem Stimulationsgerät feststellen. Bisher unklar bleibt, ob die Effekte der DDS auf die Atemfunktion (Vitalkapazität) und andere Parameter von klinischer Relevanz und nachhaltig sind. Erste kontrollierte Daten sind von den Ergebnissen der multizentrischen DDS-Studie in den USA mit Auswertung im Jahr 2009 zu erwarten.
In Resonanz auf die Veröffentlichungen zum Zwerchfellschrittmacher bei der ALS erhielten wir zahlreiche Anfragen. Die häufigsten Fragen sollen an dieser Stelle benannt und beantwortet werden:
Wer ist für die DDS geeignet?
Nach den bisherigen Erfahrungen in den USA und den eigenen Erkenntnissen scheint eine DDS besonders bei einer normalen oder nur geringgradig eingeschränkten Atemfunktion zu sein. Bei einer Vitalkapazität über 70 % besteht ein sehr geringes Operationsrisiko. Bei einer Atemfunktion, die bereits hohe Einschränkungen zeigt (Vitalkapazität < 50 %), besteht ein Risiko, dass nach der Vollnarkose keine sofortige Entwöhnung von der Narkose-bedingten Beatmung erfolgen kann. Weiterhin ist mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit während der Operation mit einem Pneumothorax (unerwünschter Lufteintritt in den Brustkorb) zu rechnen, der durch die Implantation der Elektroden in das Zwerchfell entstehen kann. Die Erholung von einem Pneumothorax ist für ALS-Patienten mit einer ausreichenden Atemfunktion rascher zu bewerkstelligen. Unter Sicherheitsaspekten planen wir in den nächsten Schritten eine DDS bei Patienten, die eine VK von mehr als 50 % aufweisen. In der Zukunft ist jedoch denkbar, dass mit einem größeren Erfahrungsschatz bei der DDS auch Patienten mit einer erheblichen Einschränkung der Atemfunktion operiert werden können. Bis Ende 2008 planen wir einzelne ALS-Patienten mit einer DDS zu versorgen, die bereits eine schwerste Atemfunktionsstörung zeigen und eine Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) und künstliche Beatmung (mechanische Ventilation) benötigen. In diesem Zusammenhang wollen wir überprüfen, ob eine DDS auch bei einer sehr fortgeschrittenen Atemfunktionsstörung zu Verbesserungen führen kann.
Wie kann ich erfahren, ob ich für DDS geeignet bin?
Das hauptsächliche Kriterium für eine Eignung ist momentan die forcierte Vitalkapazität im Sitzen und Liegen (VK). Der höchste Nutzen einer DDS ist bei ALS-Patienten zu erwarten, die bereits eine Annahme der VK aufweisen (beginnende Beeinträchtigung der Atemmuskulatur), jedoch noch eine ausreichende Atemkapazität zeigen (VK > 70 %). Diese Messung ist meist bei einem Facharzt für Innere Medizin möglich. In der Zukunft werden wahrscheinlich andere spezialisierte Messparameter eingesetzt, um die Eignung für eine DDS besser abschätzen zu können (z. B. Ermittlung der „Hustenkraft“ als Maß für die Zwerchfellkraft). Gegenwärtig gilt die VK als eine etablierte Messmethode, obwohl die Aussagekraft Einschränkungen hat.
Wie kann ich mein Interesse für eine DDS äußern?
ALS-Patienten, die grundsätzlich eine DDS in Erwägung ziehen, können ihre Unterlagen an unsere ALS-Ambulanz versenden. Dabei sind die folgenden Informationen von Wichtigkeit:
Personalangaben einschließlich Name, Adresse, Geburtsdatum, telefonische Erreichbarkeit (mit Mobilnummer) sowie vorhandene Arztbriefe in Kopie. Dabei ist nicht erforderlich, alle ärztlichen Unterlagen beizubringen. Relevant ist ein Arztbrief einer stationären Diagnostik in einem Krankenhaus, in der die Diagnose einer ALS formuliert wurde. Weiterhin ist eine aktuelle Messung der forcierten Vitalkapazität (FVC) im Sitzen und Liegen von größter Bedeutung. Zusätzlich ist eine kurze Beschreibung des gegenwärtigen Gesundheitszustandes in den Bereichen Sprechen, Schlucken und Mobilität von Interesse. Diese Unterlagen sind auf dem Postweg an unsere übliche Ambulanzadresse zu versenden:
Charité-Universitätsmedizin Berlin
Campus Virchow-Klinikum
Neurologische Poliklinik
Herrn Prof. Dr. Thomas Meyer
ALS-Ambulanz
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Wie hoch ist die Aussicht, eine DDS zu erhalten?
Seitens der ALS-Ambulanz streben wir die Operation mehrerer ALS-Patienten im Jahr 2008 an. Die Hauptlimitation liegt in der Kostenfrage der DDS, die bisher noch nicht abschließend geklärt ist. Seit Ende 2007 finden die Budgetverhandlungen der Charité mit Vertretern der Krankenkassen statt. Beantragt wird das Budget für die Operation von 20 Patienten an der Charité im Jahr 2008. Die Zahl ist zunächst begrenzt, da die Kosten pro DDS einschließlich stationärer Behandlung, Operation und Stimulationsgerät gegenwärtig 37.000 Euro betragen. Aufgrund dieser signifikanten Kosten ist erklärbar, dass die DDS eine eigenständige Verhandlungsgröße in den Budgetvereinbarungen darstellt. In den nächsten Jahren ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Bewilligungen ansteigen wird. In einer Übergangsphase ist weiterhin denkbar, dass individuelle Finanzierungsmodelle entstehen.