Im Jahre 2000 veranlasste der italienische Rechtsanwalt Raffaele Guariniello eine Untersuchung zu Todesursachen bei 24.000 Fußballspielern, die in den Jahren 1960 bis 1996 in den Serien A bis C in den italienischen Fußball-Ligen aktiv waren. Von insgesamt 375 ermittelten Todesfällen sind 8 Personen an einer ALS verstorben. Diese Recherche wurde in den nicht-medizinischen Medien publiziert und kontrovers diskutiert. Die Daten der genannten juristischen Untersuchung waren aufgrund methodischer Mängel der Untersuchung und der diagnostischen Unsicherheit der beschriebenen Todesfälle umstritten, so dass eine systema- tische medizinische Untersuchung veranlasst wurde. Am 16.01.2005 wurde das Ergebnis der neurologischen Untersuchung zur Häufigkeit von ALS bei italienischen Fußballspielern in der Fachzeitschrift Brain von dem Neurologen Dr. Adriano Chio publiziert (A. Chio, G. Benzi, M.Dossena, R. Mutani, G. Mora, Severely increased risk of ALS among Italian professional football players. Brain. 2005; 128: 472–476). Die Studie umfasste 7.325 Fußballspieler, die zwischen dem 01.09.1970 und dem 30.06.2002 in der Liga A oder B aktiv waren.
Insgesamt wurden 5 italienische Fußballspieler identifiziert, die in den Kalender- jahren 1981, 1984, 1999, 2000 und 2001 an einer ALS erkrankt sind. Die Anzahl der statistisch zu erwartenden ALS-Erkrankungen in der untersuchten Sportler- gruppe beträgt 0,77 Personen. Damit ist die tatsächliche Zahl von 5 ALS-Patienten deutlich höher als die zu erwartende Neuerkrankungsrate und zeigt ein 6,5-fach erhöhtes Risiko einer ALS unter Fußballprofessionellen im Vergleich zur Normal- bevölkerung.
Weiterhin zeigte sich ein strenger Zusammenhang des ALS-Erkrankungsrisikos bei einer aktiven Berufstätigkeit >5 Jahren (15,2-fach erhöhtes Risiko einer ALS) im Vergleich zu einer aktiven Tätigkeit als professioneller Fußballsportler < 5 Jahre (3,5-fach erhöhtes Risiko). Das mittlere Erkrankungsalter der erkrankten Fußballspieler betrug 43,4 Jahre und liegt damit 10 Jahre unter dem mittleren Erkrankungsalter der übrigen ALS-Patienten. Von den 5 ALS-erkrankten Fußball- sportlern entwickelten 3 die schwere Verlaufsform einer bulbären ALS, die durch einen Erkrankungsbeginn mit Sprech- und Schluckstörungen gekennzeichnet ist.
Die ALS-erkrankten Sportler spielten in vier Fällen im Mittelfeld, während ein Spieler in der Verteidigungsposition aktiv war. Es wird kein Spieler in einer Stürmer- oder Torwartposition mit einer ALS beschrieben. Die neurologische Auswertung von 7.325 italienischen Fußballspielern wurde auf Sportler mit einer italienischen Nationalität und einer aktiven Tätigkeit im genannten Zeitraum von 1970 bis 2002 eingeschränkt. Diese Eingrenzung erfolgte aus Gründen der statistischen Auswertung. Erwähnenswert ist, dass neben den 5 genannten ALS-erkrankten Fußballspielern weitere 10 Spieler an ALS erkrankt sind, deren aktive Sportlertätigkeit bereits vor dem Jahr 1970 und damit vor dem Beginn des Untersuchungszeitraumes beendet war.
In Zusammenfassung der systematischen Analyse von ALS-Neuerkrankungen in der Berufsgruppe der italienischen Fußballprofessionellen wurde ein 6,5-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko einer ALS identifiziert. Die Ergebnisse der neurologischen Untersuchung lassen die Schlussfolgerung zu, dass profes- sioneller Fußballsport einen signifikanten Risikofaktor für die ALS-Erkrankung darstellt. Dabei steigt das Risiko einer ALS mit der Dauer der Berufsausübung von mehr als 5 Jahren. Die Ursachen für das erhöhte Erkrankungsrisiko bei italienischen Fußballsportlern sind bisher unbekannt. Als mögliche Ursachen sind mehrere Hypothesen zu erwägen:
- Das Erkrankungsrisiko an einer ALS bezieht sich auf die körperliche Aktivität und ist unabhängig von der Art des Sports und damit auch vom Fußball im engeren Sinn.
- Das ALS-Risiko ist fußballspezifisch und geht auf Mikrotrauma- tisierungen, z.B. im Zusammenhang mit Kopfbällen, Traumata der Beine oder bestimmte Trainingskonzepte oder Verfahren der physikalischen Behandlung zurück.
- Das Erkrankungsrisiko resultiert aus dem Gebrauch illegaler Substanzen, die für eine Steigerung der physischen Leistungsfähig- keit benutzt werden („Doping“).
- Die Zunahme der ALS-Häufigkeit ist mit fußballspezifischen Umweltfaktoren, z. B. dem Gebrauch von Schädlingsbekämpfungs- mitteln oder Düngemitteln auf Fußballplätzen und in Stadien assoziiert.
- Das erhöhte ALS-Erkrankungsrisiko geht auf genetische Faktoren zurück, die mit der überdurchschnittlichen körperlichen Leistungs- fähigkeit assoziiert sind. Dabei ist anzunehmen, dass die genetischen Faktoren für eine erhöhte Leistungsfähigkeit im späteren Lebensverlauf einen negativen Einfluss auf die Funktion motorischer Nervenzellen ausüben. Dabei ist zu diskutieren, dass diese genetischen Faktoren in der Allgemeinbevölkerung vorliegen, jedoch in der Berufsgruppe der Fußballspieler überrepräsentiert sind.
Einschränkend ist festzustellen, dass der Nachweis eines erhöhten ALS-Erkrankungsrisikos sich auf eine erstmalige systematische Analyse stützt. Diese Studie wurde ausschließlich in Italien durchgeführt, so dass Informationen über das tatsächliche Erkrankungsrisiko von Fußballsportlern generell und damit auch in Deutschland noch unsicher ist. Zur Klärung dieser Frage ist eine Untersuchung des ALS-Erkrankungsrisikos in Deutschland und anderen europäischen Ländern in Kooperation mit den nationalen Fußballverbänden erforderlich.