Im Februar 2006 wurden positive Berichte einer spezialisierten physikalischen Therapie bei Kindern mit einer spinalen Muskelatrophie (SMA) veröffentlicht. Es handelt sich um Untersuchungen am Universitätsklinikum Köln, die medizinische Effekte der Ganzkörpervibration auf das neuromuskuläre und endokrinologische System des Menschen untersuchen. Die Forschungsarbeiten haben eine Medienaufmerksamkeit erreicht, nachdem betroffene Kinder mit einer SMA durch die Ganzkörpervibration eine Verbesserung der Muskelkraft und von Restfunktionen der Gehfähigkeit erlebt haben. Aufgrund von Gemeinsamkeiten der SMA mit klinischen Merkmalen der ALS haben die Beobachtungen zur Vibrations-Behandlung potentielle Implikationen für die ALS.
Vibration ist eine mechanische Stimulation, die durch oszillierende Bewegungen (Hin- und Herbewegungen) bewirkt wird. Die unerwünschten Effekte von Vibrationen wurden insbesondere im Bereich der Arbeitsmedizin intensiv untersucht. Mit sportmedizinischen und rehabilitativen Fragestellungen liegen bisher nur sehr eingeschränkte Erfahrungen bei Vibrationsübungen vor. Eine praktische Anwendung besteht darin, dass Patienten sich auf einer Stehplattform befinden, die mit einer Frequenz von 15 – 16 Hz und einer Auslenkung zwischen 1 bis 10 mm vibriert. Bei bereits vorliegenden Lähmungen (Paresen) der Beine ist der Einsatz eines Kipptisches möglich.
Vorliegende systematische Analysen zum Effekt der Vibration erfolgten mit sportmedizinischen Fragestellungen. In einer Studie von Bosco und Mitarbeitern aus dem Jahre 1998 führte die Anwendung der Vibration über 10 Tage mit einer Gesamtexpositionszeit von 100 Minuten zu einer Erhöhung der Sprungkraft der behandelten Sportler um 12 %. Andere Anwendungen zielten auf eine verbesserte Koordinationsfähigkeit und Gangstabilisierung bei geriatrischen Patienten oder Betroffenen mit multipler Sklerose und Schlaganfall. Dabei ist zu betonen, dass für keine der genannten Erkrankungen eine hinreichende Beweislage vorliegt, um den positiven Effekt der Ganzkörpervibration zu untermauern. Die bisherigen Untersuchungen zur mechanischen Oszillation betreffen sehr kleine Patientengruppen und erfüllen nicht die Kriterien der Evidenz-basierten Medizin.
Zur Klärung eines möglichen therapeutischen Effektes der Ganzkörpervibration (mechanische Oszillation) auf die verbleibenden Muskelfunktionen bei der ALS ist eine Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Muskel- und Knochenforschung am Campus Benjamin Franklin der Charité unter Leitung von Prof. Dr. D. Felsenberg vorgesehen.
Am 24.02.2006 kam es zu einer ersten Begegnung und Ortsbesichtigung der Arbeitsgruppe von Prof. Felsenberg und unserer ALS-Ambulanz. Mit einem zukünftigen Pilotprojekt soll überprüft werden, ob der Einsatz einer Ganzkörpervibration bei der ALS hinreichend verträglich ist und erste Hinweise auf positive Effekte zu verzeichnen sind. Dabei ist zu betonten, dass die mechanische Oszillation die Wertigkeit einer intensivierten physikalischen Therapie aufweist und der fortschreitende Charakter der Grunderkrankung nach dem heutigen Erkenntnisstand nicht erreichbar ist.