Grundlagenforschung und klinische Untersuchungen waren auch in diesem Jahr die Schwerpunktthemen des Internationalen ALS-Kongresses. In einer Sondersitzung der Weltorganisation der Neurologen (World Federation of Neurology) wurden die geplanten Therapiestudien für das Jahr 2006 vorgestellt. Bereits am 28.08.2006 begann in den USA eine ausgedehnte Studie mit dem Antibiotikum Ceftriaxon (Handelsname in Deutschland: Rocephin), dem auf Grund tierexperimenteller Studien ein therapeutisches Potential auch bei der ALS zugeschrieben wurde. Europäische ALS-Experten halten die Wahrscheinlichkeit einer Wirksamkeit für sehr gering, da die grundlagenwissenschaftliche Datenlage unsicher ist und durch andere Arbeitsgruppen nicht reproduziert werden konnte. Weiterhin haben erste klinische Studien mit Ceftriaxon bei ALS-Patienten keine erkennbaren Effekte gezeigt. Zur Klärung einer möglichen Krankheitsverlangsamung durch Ceftriaxon wird die Studie mit 600 ALS-Patienten an 40 Zentren in Nordamerika durchgeführt. Zur Ermittlung der Arzneimittelsicherheit wird im Vorfeld zur Wirksamkeitsstudie eine Pilotstudie realisiert, an der 60 Patienten für eine Dauer von 60 Tagen teilnehmen. Bei einer hinreichenden Verträglichkeit des Antibiotikums in der Langzeitanwendung ist die Wirksamkeitsstudie mit einer Dauer von 18 Monaten geplant.
Eine zweite Studie wird unter Leitung des ALS-Zentrums in New York mit der Substanz Co- Enzym Q durchgeführt. Es handelt sich um einen natürlich vorkommenden Stoff, der bestimmte Stoffwechselschritte in der Muskulatur des Menschen positiv beeinflusst. Die Studie erfolgt mit der Hypothese, dass eine zusätzliche Darreichung von Co-Enzym Q zu einer Mobilisierung von Restfunktionen in der geschädigten Muskulatur von ALS-Patienten führen kann. In diese Studie werden 3 Patientengruppen gebildet, die 2700 mg Co-Enzym Q, 1000 mg Co-Enzym Q oder Placebo einnehmen. An der Studie werden 307 Patienten teilnehmen.
Weiterer Schwerpunkt des Kongresses war die Entwicklung neuer Studienkonzepte, die eine Verkürzung der Studiendauer und Verminderung der notwendigen Patientenzahl bewirken. Das neuartige Studiendesign wird als Futility-Study bezeichnet. Das Studienkonzept sieht eine Beobachtung und Aufzeichnung der klinischen Parameter (z. B. des Selbstbewertungsmaßstabes ALS-FRS-R) über mehre Monate vor, so dass die Progressionsrate (Krankheitsgeschwindigkeit) der ALS ermittelt wird. Nach Abschluss einer Beobachtungszeit von 3-6 Monaten wird das Medikament eingesetzt und die Progressionsrate während der Medikamentenbehandlung aufgezeichnet. Auf diese Weise wird der Therapieeffekt eines Medikamentes an der Krankheitsverlangsamung festgestellt. Durch dieses Konzept ist es möglich, auf ein Placebopräparat zumindest in der frühen Medikamentenentwicklung zu verzichten. Bisher ist unbekannt, ob die zuständigen Arzneimittelbehörden in Europa (EMEA) oder in den USA (FDA) diesem neuen Studienkonzept zustimmen. An der Charité ist für das Jahr 2007 eine Studie vorgesehen, bei der die Prinzipien der Futility-Study Anwendung finden sollen. Bisher ist noch ungelöst, ob die zuständigen Behörden einschließlich der Ethikkommission des Landes Berlin dem Vorgehen zustimmen werden.