Ein übermäßiger Speichelfluss, die sogenannte Sialorrhoe, ist ein häufiges Symptom bei der ALS. Die Sialorrhoe ist die Folge einer ALS-bedingten Schluckstörung. Eine Analyse bei mehr als 2.000 ALS-Patienten in der ALS-Ambulanz an der Charité zeigte bei 63 % der Betroffenen eine Sialorrhoe, die bei 25 % aller Patienten hochgradigen war (siehe Abbildung). Verschiedene weitere Beschwerden können daraus resultieren, unter anderem eine Verlegung der Atemwege oder eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität.
Für die Behandlung der Sialorrhoe bei der ALS wurde vor kurzem das Medikament Xeomin® (IncobotulinumtoxinA) des deutschen Arzneimittelunternehmens Merz Pharmaceuticals zugelassen. Nachdem im Juli 2018 in den USA durch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA und im Mai 2019 in der EU durch die europäische Zulassungsbehörde EMA die Zulassung für die Behandlung des chronischen übermäßigen Speichelflusses mit IncobotulinumtoxinA (Xeomin®) bei neurologischen Erkrankungen erteilt wurde, erhielt Merz nun auch in Deutschland eine Zulassung für diese Indikation. Damit steht erstmals eine zugelassene Therapie zur Behandlung der Sialorrhoe bei Erwachsenen mit neurologischen Erkrankungen, so auch für die ALS, zur Verfügung.
In einer er randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten, multizentrischen Phase-III-Studie wurde eine signifikante Reduktion der Sialorrhoe durch die Injektion von insgesamt 100 oder 75 Einheiten IncobotulinumtoxinA (Xeomin®) in die zwei größten Speicheldrüsen (Glandula parotis und Glandula submandibularis) gezeigt. Die Studie wurde an Patienten durchgeführt, die aufgrund einer Parkinson-Erkrankung oder eines Schädel-Hirn-Traumas einen übermäßigen Speichelfluss zeigten. Da IncobotulinumtoxinA (Xeomin®) ein Neurotoxin ist, das zur Reduktion von Spastik und zur Behandlung anderer Erkrankungen, die den Muskeltonus erhöhen, eingesetzt wird, wurde insbesondere auf das Auftreten oder die Zunahme einer Schluckstörung geachtet. Durch eine präzise Injektion z.B. durch Ultraschall-Kontrolle zeigte sich in der Studie keine signifikante Häufung von Schluckstörungen durch die Behandlung im Vergleich zur Placebo-Gruppe.
Die Injektion sollte von einer erfahrenen Behandlerin oder einem Behandler unter Ultraschall-Kontrolle durchgeführt werden. In unserer Ambulanz wird diese Therapie angeboten, wenn andere Medikamente keine ausreichende Wirkung aufweisen. Da die Xeomin-Behandlung in unserer Ambulanz mit Ultraschallkontrolle durchgeführt wird, ist sie mit einem zusätzlichen Zeitaufwand verbunden. Daher wird zumeist ein separater Termin für die Behandlung mit Xeomin® vereinbart. Die Zulassung mit Xeomin ist positiv zu bewerten, da damit eine weitere pharmakologische Behandlungsmöglichkeit in die Regelversorgung aufgenommen wurde.
Autor: Dr. André Maier