Allerdings ist bei einer geringen Teilnehmerzahl die Aussagefähigkeit von klinischen Studien begrenzt. Daher wird in einem EU-Studienprogramm eine Wirksamkeitsstudie realisiert, an der ALS-Zentren in Italien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, den Niederlanden und Belgien mitwirken. Insgesamt werden 440 ALS-Patienten an der Studie teilnehmen. Die TUDCA-Studie wird als plazebo-kontrollierte und doppelblinde Untersuchung realisiert.
Zur Gewährleistung der Sicherheit und Machbarkeit einer klinischen Studie ist die Festlegung von Einschlusskriterien erforderlich. Dabei wird bereits vor Beginn der Studie definiert, unter welchen Bedingungen eine Studienteilnahme möglich ist. Für die TUDCA-Studie wurden die folgenden Einschlusskriterien definiert (Auswahl):
Maximale Krankheitsdauer von 18 Monaten (Zeitraum vom Beginn von Lähmungen oder einer Sprechstörung bis zum Einschluss in die Studie)
≥ 3 Punkte im Bereich der Schluckfunktion auf der ALS Funktionsskale (ALS-FRSr)
≥ 70 Prozent der Vitalkapazität (SVC, Slow Vital Capacity)
Neben diesen Kernkriterien sind weitere Ein- und Ausschlusskriterien durch die Studienorganisation festgelegt worden, die während einer Studienvisite individuell geprüft werden (Screening-Visite). Nach einem erfolgreichen Screening zur Studie wird eine Studienteilnahme ermöglicht. Die Studienteilnahme beinhaltet die tägliche Einnahme von 8 Kapseln (4 Kapseln jeweils morgens und abends). Die einzunehmenden Kapseln beinhalten entweder das Prüfpräparat oder Placebo. Die sonstigen ALS-Medikamente (insbesondere Riluzol) werden unverändert eingenommen.
Die Studie wird über einen Zeitraum von 21 Monaten realisiert. Dazu sind insgesamt 8 Visiten in der Ambulanz erforderlich, die zeitlich mit den „regulären“ Terminen in der ALS-Ambulanz kombiniert werden können. Hinzu kommt 1 zusätzliche Telefonvisite, die eine telefonische Befragung beinhaltet. Die Studienvisiten werden in der ALS-Ambulanz durchgeführt und umfassen verschiedene Messungen (Kraftprüfung, Messung der SVC, EKG, Laboruntersuchungen und Befragungen). Die Aufwendungen der Anreise für Patienten und begleitende Angehörige (Fahrtkosten) werden von der ALS-Ambulanz unterstützt.
Über die Abläufe der Studie informiert eine schriftliche Studieninformation. Zusätzlich ist die Klärung offener Fragen durch eine Studienärztin und Studienkoordinatorin möglich. Die Studienteilnahme setzt ein informiertes Einverständnis und die vorausgegangene Klärung offener Fragen voraus. Fragen zu Möglichkeiten der Teilnahme sind zu richten an: [email protected]
Über TUDCA:
TUDCA (Tauroursodeoxycholic acid; Tauroursodesoxycholsäure) ist eine natürlich vorkommende Gallensäure, die überwiegend bei bestimmten Tierarten, wie dem Schwarzbären („Ursu“, der Bär) vorkommen. Beim Menschen macht TUDCA etwa 3 % der Gallensäure aus. In der chinesischen Medizin wurden Gallensäuren (mit TUDCA als chemische Komponente) bereits seit Jahrhunderten zur Linderung von Muskelkrämpfen und „fieberhaften Erkrankungen“ eingesetzt. 1956 gelang in Japan erstmalig die synthetische Herstellung von TUDCA. Erst neuere Forschungen konnten zeigen, dass TUDCA die chemische Rolle eines Chaperons einnimmt. Unter Chaperonen sind Moleküle zu verstehen, die für die Anordnung und Faltung von körpereignen Proteinen (Eiweiße) verantwortlich sind. Diese Eigenschaften sind aus ALS-Perspektive von besonderem Interesse, da für die ALS eine pathologische Faltung und Zusammenballung von bestimmten Proteinen (TDP-43, FUS-Protein) bekannt ist.
Über plazebo-kontrollierte und „doppel-blinde“ Studien:
Das Grundprinzip einer Plazebo-Kontrolle besteht darin, dass ein Teil der Studienteilnehmer mit einem Schein-Präparat ohne Wirkstoff (Plazebo) behandelt wird, während eine zweite Gruppe das experimentelle Medikament erhält. Unter „doppel-blinder“ Durchführung ist zu verstehen, dass sowohl der teilnehmende ALS-Patient als auch der durchführenden Studienarzt keine Kenntnis über die tatsächliche Zuordnung zur Plazebo- oder Wirkstoff-Gruppe erhält. Die Zuordnung zwischen beiden Gruppen wird durch einen Zufallsgenerator („Randomisierung“) vorgenommen. Die Methode der randomisierten, plazebo-kontrollierten und doppel-blinden Studien hat sich in der gesamten Medizin durchgesetzt, um reale Medikamenteneffekte vom „Wunschdenken“ einer Wirksamkeit abzugrenzen, das sowohl Patienten als auch Ärzte und Wissenschaftler betrifft. Psychologisch kann die Teilnahme an einer plazebo-kontrollierten Studie für Patienten eine Belastung darstellen. Längerfristig ist diese Methode der Studiendurchführung für die Sicherheit und Effektivität der medizinischen Behandlung unbestritten und von herausragender Bedeutung.
(1) Elia AE, Lalli S, Monsurrò MR, Sagnelli A, Taiello AC, Reggiori B, La Bella V, Tedeschi G, Albanese A. Tauroursodeoxycholic acid in the treatment of patients with amyotrophic lateral sclerosis. Eur J Neurol. 2016;23:45-52. doi: 10.1111/ene.12664
(2) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25664595
(3) https://cordis.europa.eu/project/rcn/212685/factsheet/en