Am 01. Oktober 2013 fand planmäßig die Vernissage von Werken des Künstlers Patrick Vernon in Berlin statt. In der Werkschau wurden erstmalig in großem Umfang Graphiken und Malerei des Künstlers präsentiert, der im Alter von 40 Jahren an den Folgen der ALS verstarb. Die Kuratorin Dr. Claudia Peppel eröffnete die Ausstellung. Prof. Dr. Thomas Meyer wurde eingeladen, die ALS-Problematik vorzustellen und die Verbindung Patrick Vernons zur ALS erlebbar zu machen. Das ist der Wortlaut seiner Rede bei der Ausstellungseröffnung:
„Liebe Frau Dr. Peppel, meine sehr verehrten Damen und Herren,
erst vor wenigen Monaten habe ich von Patrick Vernon, seinem Werk und seiner Erkrankung erfahren. Der Tod Vernons an einer Amyotrophen Lateralsklerose – genannt ALS – brachte Sie, liebe Frau Peppel, auf den Gedanken, den Kontakt zur ALS-Ambulanz der Charité aufzunehmen. An der Charité sind etwa 800 Menschen mit der ALS-Erkrankung in ambulanter Behandlung. Dabei handelt es sich um eine dramatische und schicksalhafte Erkrankung, die im Verlauf weniger Jahre zu einer vollständigen Lähmung des Körpers führt. Die Betroffenen werden bei wachem Geist fortschreitend gelähmt bis hin zu einer vollständigen Bewegungslosigkeit der Extremitäten und der Unfähigkeit zu sprechen, zu schlucken und zu atmen.
Die moderne Medizin macht eine Lebensverlängerung mit einer Ernährungs- und Beatmungstherapie möglich. Zugleich entsteht ein Spannungsfeld von medizin-technisch ermöglichter Lebenszeitverlängerung und Lebensqualität. Steven Hawking ist ein Paradigma für eine Lebensentwurf mit ALS – Hawking ist bereits seit Mitte der 80iger Jahre künstlich beatmet und seitdem durch Medizintechnik im Leben. Jörg Immendorff war ebenfalls an ALS erkrankt und wurde ab 2005 beatmet. Ich war sein Neurologe und konnte nicht verhindern, dass für ihn der Widerspruch zwischen gewonnener Lebenszeit und reduzierter Lebensqualität größer, unerträglich und schließlich unlösbar wurde.
Das Leiden von Patrick Vernon ist für mich nur zu vermuten, aber ich befürchte, dass der Verlust seiner motorischen und damit expressiven Fähigkeiten für ihn ein schweres Schicksal war. Die ALS-Erkrankung ist bis heute ein ungelöstes Problem. Auf verschiedenen Ebenen: auf Ebene der Grundlagenforschung, der Patientenversorgung und der gesundheitspolitischen Bewertung. Symptomatisch ist, dass weniger als 20 % der notwendigen Mittel der ALS-Ambulanz der Charité von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen finanziert werden. Der überwiegende Teil wird über Projektarbeit und Spenden aufgebracht. Verschiedene Künstler unterstützen seit mehreren Jahren unsere Ambulanz. Unter ihnen Markus Lüpertz, Christian Boltanski, Toni Cragg, Anselm Kiefer und mehrere andere. Auf einer Charity-Auktion vor zwei Wochen hier in wurden auch 4 Werke von Patrick Veron Berlin in Sammlerkreisen präsentiert und sehr erfolgreich versteigert. Die Erlöse dienen der Unterstützung von ALS-Betroffenen an der Charité.
Auch die heutige Vernissage präsentiert Arbeiten von Vernon, deren Erlöse in erster Linie der Pflege des Werkes des Künstlers dienen sollen. Ein Teil der Erlöse soll an unsere Einrichtung and er Charité gespendet werden. Dafür möchte ich bereits jetzt Frau Dr. Peppel als Initiatorin meinen Dank aussprechen. Jenseits der finanziellen Unterstützung sehe ich ein gemeinsames Anliegen: Die Öffentlichkeit für die eine unterkommunizierte Krankheit und eine größere Öffentlichkeit für eine unterkommunizierten Künstler und ein unterkommuniziertes Werk. Ich wünsche uns gemeinsam, dass diese Ausstellung dazu beiträgt, das Werk von Patrick Vernon und die ALS-Problematik zu würdigen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“