Die klinische Studie MitoTarget wurde Ende 2011 mit einem negativen Ergebnis beendet. Die Auswertung der Studiendaten erbrachte keinen Vorteil des Studienmedikamentes im Vergleich zur Placebobehandlung.
MitoTarget
Die klinische Studie MitoTarget wurde Ende 2011 mit einem negativen Ergebnis beendet. Die Auswertung der Studiendaten erbrachte keinen Vorteil des Studienmedikamentes im Vergleich zur Placebobehandlung. Diese Aussage bezieht sich auf die Krankheitsgeschwindigkeit (Progressionsrate), die Beeinflussung der Atemfunktion (Vitalkapazität), die Lebensqualität und das Überleben. Gleichzeitig zeigten die Studienergebnisse keine Hinweise auf schwerwiegende Nebenwirkungen, die auf das Studienmedikament zurückzuführen sind. Damit ist davon auszugehen, dass durch die klinische Prüfung kein Nachteil für die studienteilnehmenden Patienten entstanden ist. Unser Dank gilt den Patienten, ihren Angehörigen und anderen Menschen in ihrem Umfeld, die eine Studienteilnahme unterstützt und möglich gemacht haben. Trotz des negativen Studienergebnisses war diese Studie ein notwendiger Schritt in der ALS-Therapieforschung, um das therapeutische Potenzial der MitoTarget-Substanz zu klären.
Im Zeitraum Mai 2009 bis Dezember 2011 wurde die MitoTarget-Studie mit dem Medikament TRO19622 in unserer Ambulanz und anderen europäischen Studienzentren durchgeführt. TRO19622 ist ein innovatives Medikament des französischen Arzneimittelunternehmens TROPHOS. Die Substanz weist strukturelle Ähnlichkeiten zum Cholesterin auf und hat positive Effekte in Tiermodellen der ALS gezeigt. Wissenschaftlicher Hintergrund dieser Therapiestrategie ist die Beobachtung, dass bei ALS-Patienten und im Tiermodell eine erhöhte Konzentration von Blutfetten (Cholesterin und Triglyzeride) ein günstiger prognostischer Faktor ist. Eine französische Studie konnte zeigen, dass Patienten mit einer Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie (erhöhte Serumkonzentration von Cholesterin und der Triglyzeride) ein längeres Überleben aufwiesen. Diese Untersuchungsergebnisse sind bisher nicht vollständig verstanden und noch nicht in anderen Studien hinreichend reproduziert worden. Dennoch ist die Hypothese einer „schützenden“ Funktion von Cholesterin der Ausgangspunkt für die klinische Prüfung mit einer Cholersterin-analogen Substanz. Das Medikament bindet an die Mitochondrien der Nervenzelle. Mitochondrien sind elementare Bestandteile der menschlichen Zellen, die für die „Energieproduktion“ zuständig sind. Der Studienname bezieht sich auf die spezielle Bindung von TRO 19622 an die Mitochondrien (Mito = Mitochondrien; Target = das Ziel [englisch]).
In der Studie wurde ein möglicher therapeutischer Effekt von TRO 19622 in Kombination mit Riluzol untersucht. Das Medikament zielte auf eine Verlängerung des Überlebens und eine Verlangsamung des ALS-Krankheitsverlaufes ab. Die Medikamentenstudie wurde in Frankreich, Deutschland, Italien und Belgien durchgeführt. In Deutschland wurde die Studie an unserer ALS-Ambulanz der Charité in Berlin sowie den Universitätskliniken in Halle/Saale, Hannover und Ulm realisiert. Die Studie wurde durch das 7. Rahmenprogramm der Europäischen Union (EU) unterstützt, das eine medizinische Forschungsinitiative mit EU-Mitteln darstellt.
An der Studie werden insgesamt 470 ALS-Patienten in verschiedenen Ländern teilnehmen, die nach einem Zufallsprinzip der TRO 19622-Riluzol-Kombinationsbehandlung oder der Placebo-Riluzol-Kombinationsbehandlung zugeordnet werden. Die Behandlung erfolgte über 18 Monate. 3 Monate nach Behandlungsende wurde eine Nachuntersuchung durchgeführt (Monat 21).
Für eine Studienteilnahme waren Patienten geeignet, die den folgenden Ein- und Ausschlusskriterien entsprechen:
Einschlusskriterien:
Diagnose einer ALS
Erkrankungsdauer von max. 36 Monaten (seit Beginn von Paresen oder Sprechstörung)
Atemkapazität (SVC > 70 %)
Riluzol-Einnahme (100 mg/Tag) seit mindestens 30 Tagen
Alter zwischen 18 und 80 Jahren (inklusive)
Erhaltene Schluckfunktion und Fähigkeit der oralen Medikamenteneinnahme
Ausschlusskriterien:
Tracheotomie und mechanische Ventilation
Nicht-invasive Maskenbeatmung
Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)
Herzrhythmusstörungen (QT-Zeit > 450 ms)
Demenz
Teilnahme an einer anderen klinischen Studie innerhalb der letzten 12 Wochen vor Studienbeginn
Medikamente, die den Fettstoffwechsel beeinflussen wie zum Beispiel lipidsenkende Medikamente (Statine), Ezetimibe, Cholesteramine, Fibrate und Niacin (Vitamin B3)
Einnahme von Fischöl
Im Prüfprotokoll wurden noch weitere Ein- und Ausschlusskriterien definiert, die im persönlichen Patientenkontakt erfasst werden. Von besonderer Bedeutung ist eine genaue Beurteilung der bestehenden Medikamente durch den Prüfarzt, um das Ausschlusskriterium der „Fettsenkertherapie“ zu vermeiden.
Die Medikamentenstudie MitoTarget wurde als placebo-kontrollierte Prüfung durchgeführt. Nach dem Zufallsprinzip („Zufallsgenerator“) wurde durch eine übergeordnete Institution die Zuweisung der Studienteilnehmer in zwei unterschiedliche Gruppen vorgenommen. Eine Gruppe erhält TRO 19622 in Kombination mit Riluzol, während eine andere Gruppe ein Placebopräparat in Kombination mit Riluzol erhält.
Gruppe 1: TRO 19622 330 mg/Tag (2 Tabletten je 165 mg /Tag)
Gruppe 2: Placebo
Die Zuweisung zur TRO 19622 -Gruppe oder Placebo-Gruppe war dem Studienteilnehmer, aber auch dem behandelnden Arzt nicht bekannt („Doppel-Blindstudie“). Die Kenntnis über die Behandlung lag ausschließlich bei der studienbeaufsichtigenden Institution („Monitor“). Durch das Grundprinzip einer placebokontrollierten und doppelblinden Studie sollte erreicht werden, dass nur objektive Medikamenteneffekte berücksichtigt werden und verständliche Wunschvorstellungen einer möglichen Verbesserung der Symptomatik („Placeboeffekt“) unterschieden werden. Das Prinzip einer Placebokontrolle von klinischen Prüfungen hat sich im gesamten Gebiet der Medizin durchgesetzt, um ein Höchstmaß an Objektivität und Sicherheit von Medikamentenuntersuchungen zu erreichen. Die Sicherheit einer placebo-kontrollierten Studie wurde dadurch gewährleistet, dass eine kontinuierliche Erfassung und Auswertung von unerwünschten Ereignissen durch eine Studienorganisation („Monitor“) besteht.
Die Studienteilnahme beinhaltete die folgenden ambulanten Visiten in unserer Sprechstunde voraus:
Screeningvisite 1 bis 3 Wochen vor Studienbeginn
Einschlussvisite
Kontrollvisite nach 1 Monat
Kontrollvisite nach 3 Monaten
Kontrollvisite nach 6 Monaten
Kontrollvisite nach 9 Monaten
Kontrollvisite nach 12 Monaten
Kontrollvisite nach 15 Monaten
Kontrollvisite nach 18 Monaten (Beendigung der Medikamenteneinnahme)
Abschlussvisite nach 21 Monaten (nur Nachuntersuchung)