Am 16. Oktober 2020 wurde weitere Ergebnisse zu AMX0035, einer Kombination aus Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol, veröffentlicht. Bereits im September 2020 wurde darüber berichtet, dass in einer 24 Wochen dauernden Phase-2-Studie (CENTAUR-Studie) ein Unterschied in der motorischen Funktion und Krankheitsprogression zwischen zwei Behandlungsgruppen erreicht werden konnte. Dabei zeigte sich im Vergleich zur Placebo-Gruppe eine um 2,32 Skalenpunkte geringe Abnahme auf der ALS-Skala („Amyotrophic Lateral Sclerosis Functional Rating Scale-Revised”, ALS-FRS-R) in der Gruppe, die mit der Medikamenten-Kombination aus Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol (Verum-Gruppe) behandelt wurde. Dieses Ergebnis war statistisch signifikant und klinisch relevant. Nähere Informationen zu dieser Studie finden Sie hier (//als-charite.de/positive-ergebnisse-der-phase-2-studie-mit-amx0035-publiziert/)
Die neue, jetzt veröffentlichte Studie folgte direkt im Anschluss an die erste CENTAUR-Studie (extension study), wobei nur Personen eingeschlossen wurden, die auch an der vorangegangenen Studie teilnahmen und diese abgeschlossen hatte. Alle Teilnehmer, auch jene, die vorher ein Placebo (Scheinpräparat) erhalten hatte, wurden nun mit AMX0035 behandelt (Open-label-Studie). Als Open-label-Studie bezeichnet man eine klinische Studie mit einem Studiendesign, bei dem im Gegensatz zu verblindeten Studie sowohl die Teilnehmer als auch die Ärzte über den verabreichten Wirkstoff in Kenntnis gesetzt werden.
Von den 137 Teilnehmern der zuvor durchgeführten CENTAUR-Studie sind 90 Personen in die Anschluss-Studie übergegangen. Das Wirksamkeitskriterium dieser Studie („primärer Studienendpunkt“) war die Lebenszeit, weshalb Informationen aller Teilnehmer aus z.B. Sterberegistern aktiv durch eine spezielle Organisation erhoben wurden. Obwohl nun alle Teilnehmer AMX0035 erhielten, konnte in der Lebenszeitanalyse ein 6,5 Monate längeres und statistisch signifikantes medianes Überlegen der Teilnehmer gezeigt werden, die AMX0035 bereits zu Beginn der ersten CENTAUR-Studie, also knapp 7 Monate länger erhielten. Die Autoren vermuten daher einen sog. neuroprotektiven Effekt von AMX0035, also eine Schutzwirkung der Substanz, die umso höher sein könnte, je eher sie eingesetzt wird.
In beiden Gruppen wurden schwere ALS-assoziierte Ereignisse wie eine nicht-invasiven Beatmung über 22 Stunden pro Tag oder die Anlage einer invasiven Beatmung (Tracheostoma) dokumentiert, da es sich dabei um Maßnahmen handelt, die das Leben über den natürlichen Erkrankungsverlauf hinaus ermöglichen. Aufgrund des spezifischen Studiendesigns konnten, im Gegensatz zum primären Wirksamkeitskriterium Lebenszeit, diese Ereignisse nicht bei denjenigen Personen erfasst werden, die die Studie abgebrochen hatten. Das Auftreten der dokumentierten Ereignisse war mit 6,7 % in der AMX0035-Gruppe und 8,3 % in der Placebo-Gruppe etwa gleich.
Abschließende Aussagen zur Wirksamkeit von AMX0035 lassen sich mit den vorliegenden Daten bisher nicht treffen, da 1. die Gruppe der behandelten Patienten noch zu klein war und 2. das offene Studiendesign mögliche unbeabsichtigt Verzerrungen (Bias) der zufälligen Verteilung von Patienten in die erwähnten Gruppen (Randomisierung) fortsetzen oder sogar verstärken kann, was erhebliche Auswirkungen auf die statistische Aussagekraft einer Studie hat.
Zusammenfassend schaffen die Ergebnisse der beiden positiven Studien mit AMX0035 eine wichtige Grundlage für die Durchführung einer Zulassungsstudie (Phase 3-Studie), die unerlässlich ist, um die Wirksamkeit eines Medikamentes nachzuweisen (Informationen zu den Phasen einer Medikamentenentwicklung finden Sie hier: //als-charite.de/forschung/).
Autor: Dr. André Maier
Angaben zur Publikation der Studie:
Paganoni S, Hendrix S, et al. Long‐Term Survival of Participants in the CENTAUR Trial of Sodium Phenylbutyrate‐Taurursodiol in ALS. Muscle and Nerve, First published: 16 October 2020
https://doi.org/10.1002/mus.27091
Link zur Publikation der Studie:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/mus.27091